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  • AutorenbildGeorg Fröschl

2.FS: Gibt es Frühling?


Die heutige Lesung aus dem Buch Genesis gehört zu den schwierigsten Bibelstellen im Hinblick auf das sich darin zeigende Gottesbild: „Wie kann Gott zu Abraham, dem er ja unendlichen Segen verspricht (zahlreich wie die Sterne am Himmel), sagen: „Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du liebst, geh in das Land Morija und bring ihn dort als Brandopfer dar!?“


Manche Interpreten sehen in dieser Stelle uralte Wurzeln einer Kultur, in der noch Menschen geopfert wurden; mit dem Gott Abrahams aber sollte nun das Menschenopfer ein Ende haben.

Für mich reicht diese Erklärung nicht in die unheimliche Tiefe dieser Erzählung hinab: hier geht es um eine urmenschliche Frage, für die es eigentlich gar keine allgemeine Antwort geben kann: „Wieviel Vertrauen ins Leben/in Gott ist einem Menschen möglich? Wieviel Erprobung ist ertragbar? Unter welchen Umständen kann ein Mensch auch bereit sein, sein Liebstes loszulassen – im Vertrauen, dass letzten Endes alles gut gefügt wird und zum erhofften Segen gereicht?“


Vor kurzem habe ich in Ö3 in der Sendung Frühstück bei mir ein Interview eines Vaters gehört, der seinen Sohn durch Suizid verloren hat. Obwohl dieses Ereignis schon einige Zeit zurücklag, hat man an der Stimme des Vaters seinen Schmerz, seine Ohnmacht und seine Untröstlichkeit gespürt, die er wahrscheinlich nie mehr ganz ablegen wird können. Wie sind solche Ereignisse mit dem Glauben an einen guten Gott zu vereinbaren? Kann es da noch Vertrauen geben?


Wenn wir ins Neue Testament auf Jesus blicken, so meinen manche, dass sich hier ein anderer Gott als im Alten Testament zeigt. Doch der Berg Moria, auf dem Isaak hätte geopfert werden sollen, ist der Hügel Golgotha, auf dem Jesus gekreuzigt wurde. Jesus stirbt mit den Worten: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen…“ Auch wenn diese Sätze aus dem Psalm 22 am Ende des Gebets in Zuversicht münden, müssen wir diesen Schmerz der Ausweglosigkeit stehen lassen… Wir können ihn nicht weg-deuten.


Symbolisch formuliert diese ur-menschlich Herausforderung der Dichter Reiner Kunze so:

Ich halte ein Samenkorn in der Hand.

Mein einziges Korn.

Sie sagen, ich soll das Korn in die Erde legen.

Ich muss mein Korn schützen, mein einziges Korn.

Ich habe nie erlebt, dass es Frühling gibt.

Sie sagen, es wächst neues Leben aus dem Korn.

Ich verliere mein Korn, mein einziges Korn.

Ich habe nie erlebt, dass es Frühling gibt.

Sie sagen, ich muss mein Korn riskieren, mein einziges Korn.

Aber ich habe Frühling nie erlebt.

Mein Geliebter sagt: Es gibt Frühling.

Ich lege mein Korn in die Erde.

Reiner Kunze

In diesem poetischen Bild klingt schon etwas von erfahrener Lebenshoffnung an: erst sie ermöglicht es, im Vertrauen loszulassen. Vielleicht will Jesus diesen Hoffnungshorizont aus der Geschichte Israel seinen Jüngern mitgeben: sie sollen am Berg Tabor einen Hindurch-Blick erhalten, damit sie dann im dunklen Tal, wo ihr Glaube auf die Probe gestellt wird, nicht zerbrechen.

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